Ein neuer Weg zum Verständnis des Konsumentenverhaltens: Die Rolle der KI bei der Neudefinition der Marktforschung
Die Marktforschung steht am Rande einer transformativen Ära, angetrieben durch schnelle Fortschritte in der (generativen)künstlichen Intelligenz (KI). Da die Branchen kontinuierlich nach effizienteren und effektiveren Methoden zur Erforschung des Konsumentenverhaltens und -präferenzen suchen, erweist sich die KI-Technologie, insbesondere Large Language Models (LLMs),als revolutionäres Werkzeug. Dieser Artikel taucht in die wegweisenden Anwendungen von KI in der Marktforschung ein und erforscht, wie KI-Technologien nicht nur traditionelle Ansätze neu definieren, sondern auch die Präzision und Geschwindigkeit erhöhen, mit der Markteinblicke gesammelt und analysiert werden können. Hier werden wir die entscheidende Rolle dieser KI-Modelle bei der Simulation von Konsumentenreaktionen, der Erstellung von Wahrnehmungskarten und der Bereitstellung tieferer Einblicke in die Emotionserkennung untersuchen.
Ein revolutionärer Ansatz zum Simulieren von Konsumentenpräferenzen
In der Marktforschung ist es entscheidend, technologische Fortschritte zu nutzen, um effektive und effiziente Einblicke in die Bedürfnisse und Präferenzen der Konsumierenden zu gewinnen. Ein innovativer Ansatz mit LLMs, in diesem Fall GPT-3.5, hat erhebliches Potenzial gezeigt, unser Verständnis der Präferenzen von Konsumenten neu zu definieren. Die von Brand et al. (2023) durchgeführte Studie nutzt KI, um Konsumentenreaktionen zu simulieren, und bietet Einsichten, die sowohl wirtschaftlich als auch effizient im Vergleich zu traditionellen Marktforschungsmethoden sind.
Im Zentrum dieser Forschung steht die Nutzung von GPT-3.5, einem Modell, das auf umfangreichen Online-Daten trainiert wurde, einschliesslich Konsumentenrezensionen und -diskussionen. Dadurch ergeben sich neue Möglichkeiten, um umfassende Konsumenteneinblicke zu erhalten. Die Methode beinhaltet das Abfragen dieses Modells, um Hunderte von Konsumentenantworten zu simulieren. Dieser Ansatz spiegelt dokumentierte Konsumentenverhaltensmuster wider, wie zum Beispiel abfallende Nachfragekurven und gewisse Abhängigkeit im Kaufverhalten (z.B. Konkurrenzprodukte). Die Anwendung einer maximalen "temperature"-Einstellung in GPT-3.5 ist besonders bemerkenswert. Diese Einstellung wird verwendet, um die Vielfalt der Antworten zu erhöhen, indem Zufälligkeit eingeführt wird, ähnlich wie das Erfassen eines breiteren Spektrums menschlichen Verhaltens. Durch Einstellen der Temperatur auf das höchste Niveau (1.0) konnten die Forschenden eine vielfältigere und realistischere Bandbreite von Konsumentenmeinungen nachahmen.
Eines der überzeugendsten Ergebnisse dieser Forschung ist die Fähigkeit des Modells, die Zahlungsbereitschaft (WTP) für verschiedene Produkte abzuleiten. Dies wurde durch direkte Abfragen bei GPT-3.5 und durch den Vergleich der abgeleiteten Nachfragefunktionen erreicht. Diese Nachfragefunktionen wurden sorgfältig konstruiert, indem Produktmerkmale und Preise variiert wurden, die Präferenzen des Modells beobachtet und die implizierte WTP quantifiziert wurden: Die geschätzte WTP für Produkte und deren Attribute zeigte nicht nur realistische Grössenordnungen, sondern stimmte auch eng mit denen aus traditionellen Marktforschungsmethoden mit menschlichen Subjekten abgeleiteten überein. Beispielsweise wurde der GPT gebeten, zwischen zwei Zahnpasten zu wählen (Preis zwischen 2 $ und 6 $; Referenzpreis 4 $). In diesem Beispiel ist eine abfallende Nachfragekurve erkennbar. Es zeigt sich zudem ein sichtbarer Knick in der Nachfragekurve, wenn der Preis den Referenzpreis übersteigt (vgl. Abb.).
Die Auswirkungen der Nutzung generativer KI in der Marktforschung sind enorm. Für Manager:innen bietet diese Technologie eine schnelle und kostengünstige Alternative zu traditionellen Methoden wie Conjoint-Analysen und Fokusgruppen. Dies kann den Produktentwicklungszyklus erheblich beschleunigen, dynamischere Preisstrategien ermöglichen und die Markteintrittstaktiken verbessern.
KI zur Verbesserung der Wahrnehmungskartierung in der Marktforschung
Ähnlich wie bei der Simulation von Konsumentenpräferenzen bringt die Integration von LLMs einen transformativen Ansatz zum Verständnis von Konsumentenwahrnehmungen, insbesondere durch Wahrnehmungskartierung. Die Studie von Li et al. (2023) beleuchtet die Wirksamkeit von LLMs, in diesem Fall GPT-4, bei der Erstellung von Perceptual Maps (Wahrnehmungskarten), die eng mit denen aus traditionellen, menschlichen Umfragen abgeleiteten übereinstimmen und so die Marktforschungsprozesse rationalisieren und die damit verbundenen Kosten senken.
Der Kern dieser Forschung nutzt die Fähigkeiten von LLMs, um Konsumenteneinblicke zu simulieren, die traditionell über Umfragen gesammelt wurden. Durch die intelligente Verwendung spezifischer Prompts konnten die Forschenden Perceptual Maps erstellen, die auf Daten zu Markenähnlichkeiten und Produktattributbewertungen basieren. Dieser Ansatz stimmt nicht nur mit traditionellen Methoden überein, sondern verbessert sie auch, indem er schnelle und skalierbare Einblicke ermöglicht.
Die verwendeten Prompts reichten von einfachen Anfragen, bei denen die LLMs direkt um eine numerische Ähnlichkeitsbewertung zwischen Markenpaaren gebeten wurden, über Few-Shot-Prompts, die mit echten Beispielen aus menschlichen Umfragen angereichert waren, um die Antwortgenauigkeit zu verbessern. Zudem wurden Role, Task, Format (RTF) Prompts eingesetzt, die das LLM explizit als Umfrageteilnehmer simulieren, wobei die Aufgabe war, mit einer Zahl von 0 bis 10 zu antworten. Für eine noch tiefere Anleitung und zur Erhöhung der Datenqualität kombinierten die Forschenden RTF-Strukturen mit Few-Shot-Beispielen in einem erweiterten Prompt-Format.
Die mit LLM generierten Perceptual Maps wurden mit denen aus menschlichen Umfragen verglichen und zeigten in einigen Produktkategorien eine Übereinstimmung von bis zu 85% auf. Diese Karten veranschaulichen die Landschaft der Konsumentenwahrnehmungen und bieten Marktforscher:innen eine visuelle Darstellung davon, wie Marken in den Köpfen der Konsumierenden zueinander positioniert sind. Die in der Studie verwendete Matrix stellt die Ähnlichkeiten zwischen Markenpaaren dar, wobei jede Zelle (i, j) angibt, wie oft Marke i in Bezug auf Marke j erwähnt wird (in diesem Falle Automarken). Diese Häufigkeitsmatrix wird dann analysiert, um Ähnlichkeitswerte abzuleiten. Die Perceptual Map veranschaulicht durch die relative Nähe zwischen den Marken, wie sie von den Konsumierenden wahrgenommen werden (vgl. Abb.).
Bedeutenderweise hob die Studie hervor, dass LLMs die menschliche Wahrnehmung relativ genau nachbilden konnten. Dies ist besonders bemerkenswert, wenn man die Erzeugung von Markenähnlichkeitswerten und Attributbewertungen betrachtet, bei denen die Antworten der LLMs denen der menschlichen Teilnehmer:innen sehr ähnlich waren. Diese Fähigkeit unterstreicht das Potenzial der KI, das Konsumentenverhalten zuverlässig zu replizieren.
Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass die Wirksamkeit von LLMs bei der Erzeugung nützlicher Marktforschungsdatenweitgehend von der Verfügbarkeit umfangreicher Trainingsdaten abhängt. Für Marken und Produktkategorien, die im Trainingskorpus der LLMs gut vertreten sind, sind die Genauigkeit und Zuverlässigkeit der Ergebnisse deutlich hoch. Diese Abhängigkeit von reichhaltigen Datenquellen bedeutet, dass LLMs am effektivsten in Szenarien sind, in denen reichlich verfügbare Daten zum Training vorhanden sind, was eine Einschränkung in Fällen darstellt, in denen Nischen- oder weniger beliebte Produktkategorien betroffen sind.
Praktische Implikationen: Die emotionale und interaktive Seite der KI-gestützten Marktforschung
Da sich die Marktforschung kontinuierlich weiterentwickelt, stellt die Integration von emotional intelligenter KI einen bedeutenden Fortschritt beim Verständnis von Konsumentenemotionen und der Verbesserung der Datenerfassungsmethoden dar. Unternehmen wie MorphCast oder Hume.ai nutzen KI-Technologien, die menschliche Emotionen mit hoher Präzision erkennen und analysieren können. Diese Fähigkeit ermöglicht es Marktforscher:innen, emotionale Reaktionen auf Produkte, Dienstleistungen und Werbung zu messen und bietet eine tiefere Einsichtsebene, die über traditionelle Datenpunkte hinausgeht.Hume.ai nutzt fortschrittliche Algorithmen und neuronale Netzwerkmodelle, um subtile Gesichtsausdrücke, Stimmmodulationen und physiologische Reaktionen zu interpretieren, die verschiedene emotionale Zustände anzeigen. Durch die genaue Identifizierung von Emotionen wie Freude, Frustration oder Enttäuschung kann diese KI-Technologie das Verständnis dafür verbessern, wie Konsumierenden auf ihre Angebote reagieren. Diese emotionalen Daten können entscheidend sein, um Produktmerkmale zu verfeinern, Marketingbotschaften anzupassen und Kundenbindungsstrategien zu verbessern.
Eine weitere bahnbrechende Anwendung von KI in der Marktforschung ist ihre Rolle als interaktiver Interviewer:in. Plattformen wie ListenLabs nutzen KI, um Interviews durchzuführen, bei denen die Technologie nicht nur anfängliche Fragen stellt, sondern auch intelligent auf die Antworten der Interviewten reagiert (siehe Abb.). Diese dynamische Interaktion ahmt die Fähigkeit von menschlichen Interviewer:innen nach, tiefer zu sondieren, basierend auf dem Kontext und dem Verlauf des Gesprächs. Dadurch können nuanciertere Einblicke in die Präferenzen und Verhaltensweisen der Konsumierenden gewonnen werden (siehe auch Forschung von Chopra und Haaland (2023) zu dieser Thematik).
Die Kombination aus emotionaler Intelligenz und interaktiven Interviewfähigkeiten in KI verwandelt die Art und Weise, wie Daten in der Marktforschung gesammelt und analysiert werden. KI-Systeme, die mit diesen Fähigkeiten ausgestattet sind, können Interviews in grossem Massstab und mit konsistenter Genauigkeit durchführen, menschliche Fehler und Voreingenommenheiten reduzieren. Darüber hinaus ermöglicht die Fähigkeit, emotionale Reaktionen in Echtzeit zu analysieren, sofortige Anpassungen an Marketingstrategien, sodass Unternehmen schnell auf Konsumentenstimmungen und Marktentwicklungen reagieren können. Wichtig bleibt jedoch zu beachten, dass die Wirksamkeit der KI in der Marktforschung weiterhin von der Qualität der Trainingsdaten abhängt und eine sorgfältige menschliche Aufsicht erfordert. Da sich diese Werkzeuge weiterentwickeln, versprechen sie, wesentliche Bestandteile innovativer Marktforschungsstrategien zu werden und Unternehmen zu ermöglichen, in einer wettbewerbsintensiven und sich schnell verändernden Marktlandschaft führend zu sein.
Darüber hinaus bietet KI noch viele weitere spannende Opportunitäten, um tiefgehende Kundeneinsichten zu generieren. Beispielsweise könnten Sekundärdaten (z.B. Konsumentenreviews) analysiert werden (z.B. Sentiment Analyse), um Kundenprobleme zu identifizieren, kategorisieren und priorisieren.
Wir stehen erst am Anfang dessen, was KI in der Marktforschung zu leisten vermag. Mit fortschreitender Entwicklung der Technologie dürfen wir uns auf noch präzisere und umfassendere Einblicke in das Konsumentenverhalten freuen, die es Unternehmen ermöglichen werden, mit nie dagewesener Geschwindigkeit und Genauigkeit zu agieren.
"Die Zukunft der Marktforschung ist durch KI nicht nur eine Leinwand für Daten, sondern ein dynamisches Werkzeug, das es uns ermöglicht, den Pulsschlag der Konsumentenstimmung in Echtzeit zu erfassen und vorherzusehen. Wir stehen an der Schwelle zu einer Ära, in der datengetriebene Intuition durch maschinelle Intelligenz verstärkt wird, und das ist nur der Anfang." (Prof. Dr. Dr. Athena)